Workshop auf der Mensch & Computer 2013

Temporale Aspekte des Nutzererlebens

Jede Interaktion zwischen einer Person und einem technischen System ist vom Erleben der Interaktion durch die Person begleitet. Was unter diesem Nutzererleben (User Experience, UX) zu verstehen ist, welche emotionalen und kognitiven Komponenten es konstituieren und mit welchen Methoden es erfasst werden kann, sind Forschungsfragen von hoher praktischer Relevanz. Ob es gelingt, verlässliche Antworten auf sie zu geben, hängt maßgeblich vom Erreichen zweier wissenschaftlicher Ziele ab: (a) der theoretischen Fundierung des Konzepts Nutzererleben und (b) der Entwicklung innovativer Methoden, die aus dieser theoretischen Fundierung abgeleitet werden. Der vorgeschlagene Workshop greift diese Thematik auf und fokussiert dabei einen wesentlichen Aspekt von UX, der bisher nur unzureichend betrachtet wurde, nämlich den Verlauf und mögliche Phasen des Erlebens. Als Ausgangspunkt dient dabei das "User Experience Lifecycle Model" (Pohlmeyer et al., 2009, Pohlmeyer 2011).

  • Abbildung 1 Phasen im "User Experience Lifecycle Model" ContinUE (Pohlmeyer 2011)

ContinUE unterscheidet mehrere Phasen und geht davon aus, dass Nutzungserleben schon vor der eigentlichen Interaktion beginnt (pre-use phase), seinen Fortgang dann über die aktuelle Nutzung nimmt (use phase) und in einem Gesamteindruck und einer Bewertung mündet (post-use phase). Weitere Phasen des Modells beschreiben den wiederholten Einsatz des Systems (repetitive use) und die dabei entstehende Konsolidierung des Gesameindrucks evaluation), der wiederum dazu führen kann, dass vergleichbare Systeme oder eine neue Version des Systems zum Einsatz kommen (re-use).

ContinUE dient im Workshop als Rahmenmodell, um andere theoretische Ansätze und empirische Befunde zeitlich einzuordnen sowie um bei der Entwicklung von Methoden zu spezifizieren, auf welche Nutzungsphase sie abzielen.

Zielgruppe

Die Zielgruppen des Workshops sind Forscher und Praktiker, die sich mit der Themaik User Experience beschäftigen.

Programm

Der Workshop ist als Ganztagsveranstaltung mit einer Einführung und Abschlussdiskussion von jeweils 30 Minuten sowie mit sechs thematischen Beiträgen von jeweils 45 Minuten Dauer geplant. Besonderer Wert wird dabei auf den Diskussionsteil gelegt, für den pro Beitrag 20 Minuten vorgesehen sind.

109:00 - 09:45Begrüßung & EinführungThüring
209:45 - 10:30Exposition und Erleben in der Mensch-Maschine-Interaktion Vogel, Hallier & Thüring
 10:30 - 11:00Kaffeepause
311:00 - 11:45Effects of (frustrated) expectations on UX ratings and UX phases Gross
411:45 - 12:30Und ob Du wirklich richtig stehst... Zur diskriminativen Validität des User Experience Fragebogens meCUEMinge, Riedel & Thüring
12:30 - 14:00Mittagspause
514:00 - 14:45Design Evaluation: Zeitliche Dynamik ästhetischer WertschätzungHarsányi, Gebauer, Kraemer & Carbon
614:45 - 15:30Design erleben: Zum Einsatz von Feedbacksystemen beim Erleben von DesignRaab, Muth & Carbon
15:30 - 16:00Kaffeepause
716:00 - 16:45Haptische User ExperienceCarbon
816:45 - 17:30AbschlussdiskussionCarbon

Beiträge

Begrüßung und Einführung

09:00 - 09:45 Uhr, Manfred Thüring

Beitrag 1 gibt eine Übersicht über theoretische Ansätze zur Beschreibung und Definition von UX und ordnet bekannte Phänomene, wie den Mere Exposure Effekt oder Halo Effekte, in die Phasen des ContinUE Modells ein.

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Exposition und Erleben in der Mensch-Maschine-Interaktion

09:45 - 10:30 Uhr, Marlene Vogel, Nina Hallier & Manfred Thüring

Beitrag 2 untersucht den Einfluss der Expositionshäufigkeit verschiedener Varianten eines Interface auf die Wahrnehmung von hedonischen und pragmatischen Erlebenskomponenten. Dabei zeigen sich Auswirkungen auf die antizipierte Usability und auf die visuelle Attraktivität (Vogel, 2013) von User Interfaces in der pre-use Phase, allerdings ohne dass diese Einflüsse auf die anschließende Nutzungsphase übergreifen.

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Effects of (frustrated) expectations on UX ratings and UX phases

11:00 - 11:45 Uhr, Alice Gross

Beitrag 3 beschäftigt sich mit den Erwartungen, die ein Nutzer an die Interaktion mit einem technischen Produkt hat und die sich bereits in der Pre-Use-Phase formen. Verhält sich ein Produkt anders als erwartet, ist das Ergebnis eine Überraschungsreaktion. In einer Studie im Spielekontext konnte gezeigt werden, dass die Nicht-Erfüllung von Erwartungen des Nutzers aus der Pre-Use-Phase einen Einfluss auf die Use- und Post-Use-Phase ausüben.

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Und ob Du wirklich richtig stehst... Zur diskriminativen Validität des User Experience Fragebogens meCUE

11:45 - 12:30 Uhr, Michael Minge, Laura Riedel & Manfred Thüring

Beitrag 4 berichtet die Ergebnisse dreier Studien zur Entwicklung und Überprüfung eines Fragebogens, der subjektive Eindrücke im Nutzungserleben mit interaktiven Produkten erfasst. Im Vergleich zu bereits etablierten quantitativen Verfahren berücksichtigt das vorliegende Messinstrument neben der Unterscheidung pragmatischer und hedonischer Qualitätsdimensionen auch die Erhebung des emotionalen Erlebens sowie bestimmter Nutzungskonsequenzen, wie Nutzungsintention und Wahl zwischen Alternativen. Damit orientiert sich die Fragebogenstruktur am integrativen Rahmenmodell des Nutzungserlebens CUE von Thüring und Mahlke (2007). Der Fragebogen eignet sich insbesondere zum Einsatz nach der Use Phase sowie zur Messung der Auswirkung wiederholter Nutzung auf das Nutzungserleben.

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Design Evaluation: Zeitliche Dynamik ästhetischer Wertschätzung

14:00 - 14:45 Uhr, Géza Harsányi, Fabian Gebauer, Peter Kraemer & Claus-Christian Carbon

Beitrag 5 liefert einen Methodenbeitrag zum Zusammenhang zwischen Nutzererleben und den ästhetischen Bewertungen eines Produktdesigns. Vor allem zwei Eigenheiten solcher Bewertungen sind dabei zu berücksichtigen. (1) Um differenzierte Ableitungen für den Pro-duktgestaltungs- und Marketingbereich zu erhalten, benötigt man multidimensionale Erfassungsinstrumentarien. (2) Ästhetische Wertschätzung ist geprägt von starker Dynamik, die durch statische Abfragemethoden per se nicht adäquat erfasst werden kann. Um beiden Anforderungen gerecht zu werden, stellen wir sowohl ein implizites Maß zur Erfassung multi-dimensionaler impliziter Assoziationen (md-IAT) (Gattol, Sääksjärvi, & Carbon, 2011) als auch eine Methode zur Erfassung dynamischer Effekte ästhetischer Werturteile (Repeated Evaluation Technique, RET) (Carbon & Leder, 2005) vor. Im Sinne des ContinUE Modells können somit Nutzererfahrungen unter Berücksichtigung von Erwartungen und fortlaufenden Neubewertungen ("repetitive experience") labor-experimentell simuliert werden.

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Design erleben: Zum Einsatz von Feedbacksystemen beim Erleben von Design

14:45 - 15:30 Uhr, Marius Raab, Claudia Muth & Claus-Christian Carbon

Beitrag 6 beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit sich bestimmte Consumer-Hardware als taugliches Instrument der UX-Forschung erweist. Nutzererleben bedeutet einen hohen Anteil interaktiver Auseinandersetzung mit einem Produkt. Konventionelle Maße, die meist in Studien zu Nutzererfahrungen zum Einsatz kommen - beispielsweise Benutzerbefragungssysteme durch Ratingskalen, Interviews und Fokusgruppen - bringen den Nutzer in einen neuen, artifiziellen Kontext, der dem echten Nutzererleben nicht entspricht. Zudem verhindert die Verwendung solcher Instrumente oftmals das echte Erleben, eine natürliche Interaktion und eine ökologische Reflexionsmöglichkeit. Bisherige Untersuchungen mit Consumer-Hardware als Instrumente der psychologischen Forschung sind vielversprechend. Mit dem Nintendo Balance Board können unwillkürliche Annäherungs- und Vermeidungsbewegungen als Reaktion auf Bildreize erfasst werden. Mit dem Microsoft Kinect-Sensor lässt sich der Einfluss von Interaktionen mit Objekten, der Imitation von Bewegungen sowie der Ma-nipulation von Bewegungsqualitäten auf emotionale Zustände festhalten. Ein Einsatz der dynamischen Erfassung und Kontrolle von Bewegung mittels dieser innovativen Techniken bietet sich daher in der Use Phase und bei wiederholter Nutzung an.

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Haptische User Experience

16:00 - 16:45 Uhr, Claus-Christian Carbon

Beitrag 7 stellt das funktionale Modell zur haptisch-ästhetischen Verarbeitung von Carbon und Jakesch (in press) vor, das speziell die User Experience mit Konsumentenprodukten zu beschreiben und erklären versucht. Als Prozessmodell, welches die komplette haptisch-ästhetische Verarbeitung von einfachen low-level Aspekten ("exploration"), über mid-level Aspekte ("assessment") bis hin zu komplexen, integrativen high-level Aspekten ("evaluati-on") adressiert, kann es innerhalb des ContinUE-Modells zu allen Phasen des Erlebens her-angezogen werden.

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Abschlussdiskussion

16:45 - 17:30 Uhr, Claus-Christian Carbon

Der Workshop endet mit einer umfassenden Abschlussdiskussion zu den theoretischen und praxisrelevanten Konsequenzen der temoralen Aspekte des Nutzererlebens.

Literatur

Carbon, C. C., & Jakesch, M. (in press). A model for haptic aesthetic processing and its implications for design. Proceedings of the IEEE, 101(September).

Carbon C. C., Leder H. (2005). The Repeated Evaluation Technique (RET): A method to capture dynamic effects of innovativeness and attractiveness. Applied Cognitive Psychology, 19, 587–601.

Gattol, V., Sääksjärvi, M. C., & Carbon, C. C. (2011). Extending the Implicit Association Test (IAT): Assessing consumer attitudes based on multi-dimensional implicit associations. Plos ONE, 6(1), e15849.

Pohlmeyer, A.E., Hecht, M., & Blessing, L. (2009). User Experience Lifecycle Model Con-tinUE [Continuous User Experience]. In A. Lichtenstein, C. Stößel & C. Clemens (Eds.), Der Mensch im Mittepunkt technischer Systeme. Fortschritt-Berichte VDI Reihe 22 Nr. 29 (pp. 314-317). Düsseldorf, Germany: VDI-Verlag.

Pohlmeyer, A.E. Identifying Attribute Importance in Early Product Development. Technische Universität Berlin, Ph.D. thesis (2011).

Thüring, M. & Mahlke, S. (2007). Usability, Aesthetics and Emotion in Human-Technology Interaction. International Journal of Psychology, 42, 253-264.

Vogel, M. (2013). Temporal Evaluation of Aesthetics of User Interfaces as one Component of User Experience. In Smith, R.T. and Wünsche, B.C. (Eds.) Proceedings of the Four-teenth Australasian User Interface Conference (AUIC2013), Adelaide, Australia. Conferences in Research and Practice in Information Technology Series, 139, 131-132, Australien Computer Society Inc.